Was das Smartphone kann, könnte in Zukunft die Jacke übernehmen: Kleine Computer, die man am Körper trägt, revolutionieren unseren Umgang mit Technologie. Würth Elektronik hat mit TWINflex-Stretch eine flexible Leiterplatte entwickelt, die ganz neue Möglichkeiten für die sogenannten Wearables und andere körpernahe Applikationen eröffnet – und auch für medizintechnische Anwendungen entscheidend sein kann.

Heldenhaft auf der Straße
Die Hightech-Fahrradjacke „Sporty Supaheroe“ erhöht dank integrierter LEDs die Sichtbarkeit von Radfahrern in der Dunkelheit. In der Jacke ist ein mikroelektronisches System integriert, das LEDs, Sensoren, Steuerungselemente, einen Ein-/Aus-Schalter und eine wiederaufladbare Batterie beinhaltet. Trotz all der Technologie ist die Jacke aufgrund der TWINflex-Stretch sehr gemütlich. Sie reagiert auf Bewegungen des Radfahrers und synchronisiert diese mit dem Lichtmuster der LEDs im Vorder- und Rückenbereich. Je schneller der Fahrradfahrer unterwegs ist, desto schneller blinken die LEDs, und er ist somit auf der dunklen Straße besser zu sehen. Und schick ist die Jacke auch noch: Sie wurde bereits mit dem Red Dot Design Award, einem der renommiertesten Designpreise der Welt, in der Kategorie „Design Concept“ ausgezeichnet.
„Zeit, Pause zu machen!“
Warnt die Jacke ihre Trägerin. Per Vibrationsalarm ermahnt sie die Joggerin, dass deren Puls zu hoch ist und sie dringend einen Gang runterschalten muss. Anhalten also, Atem beruhigen, Körperdaten kontrollieren – die Frau weiß, welch kostbarer Assistent ihr Kleidungsstück ist und nutzt es entsprechend. Die Jacke hält sie nicht nur warm, sondern ist ein tragbares Messgerät. Sie misst biologische Körperfunktionen, zeichnet Daten über ihre Laufstrecke auf und dient sogar als Navigationsgerät. Dabei lernt sie dank Künstlicher Intelligenz kontinuierlich hinzu.
Smarte Elektronik als zweite Haut. Technik, die den Menschen besser kennt als er sich selbst, oder ihn unmittelbar unterstützt. Zukunftsmusik? Nicht unbedingt. Schon heute sind sogenannte Wearables, etwa in Form von Fitnessarmbändern, Smartwatches oder Datenbrillen, Teil unseres digitalen Lifestyles. Sie verschmelzen zwar (noch) nicht mit ihren Besitzern, aber sie können dessen Alltag schon jetzt um einiges erleichtern und sind als Trendobjekte im Tagesablauf vieler Menschen fest verankert. Die Möglichkeiten der Wearables sind faszinierend.

VERNETZTER FEUERWEHR-HANDSCHUH
Zusammen mit Projektpartnern und der Feuerwehr Reutlingen hat Würth Elektronik im Rahmen des Verbundprojektes „GloveNet“ einen Prototyp für einen vernetzten Sensor-Feuerwehrhandschuh entwickelt. Der Prototyp arbeitet deshalb mit einem textilintegrierten Temperatursensor im Gewebe der Handaußenfläche. Durch die Vibrations-Sensoren wird der Feuerwehrmann vor dem möglichen Flashover – dem schlagartigen Übergang eines Feuers in einen vollentwickelten Brand – hinter geschlossenen Türen gewarnt.
Ein weiterer Clou: Bei erschwerten Sicht- und Sprechfunkbedingungen kommt die im Handschuh integrierte Gestenkommunikation per Funkübertragung zum Einsatz. Vorab definierte Handbewegungen werden über Beschleunigungssensoren detektiert. Diese können beispielsweise „Mir geht es gut“ oder „Hilf mir“ ausdrücken. Diese Signale werden in der integrierten Mikroelektronik mit speziellen Algorithmen ausgewertet. Dann werden die zugehörigen Funksignale und haptischen Rückmeldungen über die Vibrationsmotoren an die anderen Feuerwehrleute gegeben. Das funktioniert ähnlich wie bei Morsezeichen: Durch ein bestimmtes „Vibrationsmuster“, das die Feuerwehrleute durch den Handschuh spüren, können sie die verschiedenen Botschaften entziffern.
Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine
Wo und wie hat diese Faszination angefangen? Den Wunsch, Technik am Körper zu tragen, hegen Menschen schon lange. Als Wearable der ersten Stunde gilt der Abakus-Ring aus China, erfunden im 17. Jahrhundert. Dieser diente als technisches Hilfsmittel zur Lösung mathematischer Probleme. Weitere frühe Beispiele für Wearables sind natürlich die ersten Armbanduhren (Anfang 20. Jahrhundert), Taschenrechner (1967) oder der Walkman von Sony (1979).
Die Gadgets von heute können aber viel mehr als diese Klassiker. Der Unterschied: Moderne Technologien sind integriert in Objekte wie Kleidung oder Accessoires – sie dienen als intuitive Mensch-Maschine-Schnittstelle und sind dabei mit anderen Endgeräten, wie beispielsweise unserem Smartphone, vernetzt. Außerdem sind die Wearables immer kleiner, leistungsfähiger, flexibler, langlebiger geworden – und smarter. Durch Künstliche Intelligenz können viele Systeme bereits von den Gewohnheiten ihres Nutzers lernen.
Navigation für eine neue „Pfadfinder“-Generation
Eine Kooperation mit dem Heilbronner Start Up Sensovo macht den Hohenlohern ebenfalls großen Spaß. Das Experimentierfeld heißt in diesem Fall „Orientierungshilfe für Outdoorer“. Und wieder lässt die neue Technologie TWINflex-Stretch viele Ideen aufkommen, deren Diskussion ohne die extreme Körperanpassung der Technologie sinnlos gewesen wäre: Beim Wandern, Klettern, Radfahren, Golfen, Tauchen „undundund“ gibt ein Gürtel die Richtung vor.
TWINflex-Stretch ist darin integriert und mit einem Smartphone vernetzt. Über Vibrationen wird der Sportler gelotst, ohne auf ein Display achten zu müssen, ganz in der Konzentration auf die Umgebung und die sportliche Herausforderung. Gesichtsfeld, Hände und Ohren werden nicht beansprucht als Pfadfinder.
Der Gürtel wird passgenau auf die Statur reguliert, wie ein handelsüblicher Gürtel auch. Wer ein Shirt oder eine Jacke darüber trägt, gibt noch nicht einmal zu erkennen, dass er einen intelligenten Lotsen bei sich hat.

Technik, die sich gut anfühlt
An kreativen Ideen mangelt es nicht. Flexible elektronische Schaltungen sind schon seit einigen Jahrzehnten in vielen Produkten zu finden und gehören inzwischen zum Stand der Technik. Der anhaltende Trend zur Miniaturisierung mit steigender Funktionalisierung in der Elektronik führt dazu, dass immer kleinere Gehäuse in allen drei Dimensionen platzsparend durch das Biegen, Rollen oder Falten ausgenutzt werden sollen. Mit im Fachjargon „biegeschlaffen und dehnbaren Schaltungsträgern“ eröffnen sich viele zusätzliche geometrische Gestaltungs- und Funktionsoptionen.
„Nicht jede Idee kann umgesetzt werden. Die Zuverlässigkeit und die Performance stehen stets im Vordergrund unserer Entwicklungen. Manchmal ist die zu integrierende Technik auch einfach zu sperrig und somit für bestimmte Anwendungsbereiche ungeeignet, außerdem gibt es Herausfoderungen bei der Miniaturisierung oder Energieversorgung“, sagt Dr. Alina Schreivogel aus dem Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) von Würth Elektronik. Genau für dieses Problem hat die Abteilung unter der Leitung von Dr. Jan Kostelnik und Forschern vom Fraunhofer Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) eine im wahrsten Sinne des Wortes geschmeidige Lösung entwickelt: TWINflex-Stretch. Es handelt sich dabei um eine dehnbare und flexible Leiterplatte. „Sie dient nicht nur als weiches Grundgerüst für elektronische Bauteile, sondern bringt die Funktionen oder sogar eine komplette Applikation mit“, erklärt das F&E-Team. Den Besucher am Entwicklungsstandort der Würth Elektronik Rot am See nimmt der F&E-Chef auf eine Reise in die Zukunft mit, während er die Grundlagen beschreibt und Exponate vorlegt. Ob man dazu den Begriff „Platte“ überhaupt noch anwenden will, ist so eine Sache. Das üblicherweise als Standardbasismaterial eingesetzte Gemisch aus Epoxidharz und Glasfaser wird durch den Kunststoff Polyurethan ersetzt, den man sonst aus ganz anderen Anwendungen kennt, etwa als Lederimitat oder Armaturenbeschichtung. „Diese Basis koppeln wir noch mit einer dehnbaren, mäanderförmigen oder stellen Sie sich eine wellenförmige Kupferstruktur vor“, verrät Jan Kostelnik. So entsteht eine Alternative, welche die starren, grünen Träger neben sich lässt und sich ganz anders, nämlich als elastischer, weicher, hautfreundlicher Träger präsentiert, der sogar knitter- und waschbar ist. „30 Grad im Schongang der Waschmaschine – kein Problem!“, erklärt Dr. Jan Kostelnik.
TWINflex-Stretch ähnelt eher einer Folie mit Gummieffekt, aber nicht einem harten Gebilde. Und so können komplexe elektronische Systeme und Sensoren beliebig geometriekonform an den menschlichen Körper, an Textilien oder andere weiche und flexible Oberflächen angepasst werden.

GUT ZU FUSS
Weitere Einsatzgebiete der dehn- und waschbaren Leiterplatte TWINflex- Stretch sind die Orthopädie, Reha oder Sport: Würth Elektronik hat beispielsweise Drucksensoren in eine Schuhsohle eingebaut. TWINflex-Stretch passt sich dabei dem Fuß an und beeinträchtigt somit nicht die natürliche Gang- oder Laufart.
Ein Beispiel für die konkrete Anwendung: Kurz nach einer Verletzung oder einer Operation am Fuß kann es sich positiv auf den Heilungsprozess auswirken, wenn man den Fuß nur teilbelastet. Die Drucksensoren können eine Überbelastung erkennen und den Patienten per „Vibrationsalarm“ daran erinnern, dass er schwächer auftreten sollte.
Preisverdächtige Zusammenarbeit
Die TWINflex-Stretch konnte bereits zur Serienreife gebracht werden und wurde mit dem Forschungstransferpreis 2018 der IHK in Gold honoriert. Dieser zeichnet besonders gelungene Kooperationsprojekte zwischen Wirtschaft und Wissenschaft aus.
Zwei Produkte, in denen die TWINflex-Stretch verbaut ist, haben es schon auf den Markt geschafft: Ein Messgürtel für Neugeborene sowie eine Hightech-Fahrradjacke – passend zu den Fotos auf diesen Seiten finden Sie Infos zu diesen beiden und anderen Produkten.
„Visionen willkommen!“
„Wir sind stolz auf das, was wir geschafft haben“, lautet das Fazit von Dr. Alina Schreivogel. Vor allem im Bereich der Medizintechnik sieht sie riesiges Potenzial für die flexible Leiterplatte. Denn in der körpernahen Medizintechnik ist man auf eine Freiformgestaltung angewiesen, etwa bei der Anpassung an den menschlichen Körper. Elektronik beziehungsweise Sensorik in Kombination mit einer ultraflexiblen TWINflex-Stretch könnte sich geometriekonform an Orthesen, Manschetten, Betten oder direkt am Körper befestigen lassen. Wegen der Dehnbarkeit des Leiterplatten-Systems könnte das System mehrere tausend Male an- und abgelegt werden, ohne die elektronischen Komponenten und Eigenschaften zu beeinträchtigen. Außerdem ist diese Innovation hygienisch, da sie waschbar und sterilisierbar ist. Mit sehr großem Interesse nimmt die Tech-Welt die TWINflex-Stretch auf und platziert entsprechende Ideen und Anfragen bei Würth Elektronik. Dagegen haben die Forscher und Entwickler nichts einzuwenden. Im Gegenteil, so schließt Dr. Jan Kostelnik mit dem Plädoyer: „Wir sind zwar oft erstaunt, auf welche kreativen Ideen die Kollegen kommen. Allgemein gilt aber, was die Technologien der Zukunft angeht: Visionen willkommen!“
SANFTE DIAGNOSTIK BEI NEUGEBORENEN
Das Schweizer Unternehmen Swisstom AG hat die TWINflex-Stretch in einen Messgürtel für Neu- und Frühgeborene integriert. Der Messgürtel kann durch das hautfreundliche und softe Material passgenau an die weiche Babyhaut angelegt werden. Er misst sanft die Herz- und Lungenfunktionen des Babys, Implantate oder Röntgenaufnahmen werden somit überflüssig. Die Entwicklung des Gürtels dauerte insgesamt drei Jahre: ein Jahr Forschung, ein Jahr Prototypenentwicklung im Rahmen des EU-Projektes CRADL (Continuous Regional Analysis Device for neonate Lung) und ein Jahr Produktentwicklung bis zur Serienreife.

ROBERT FRIEDMANN
SPRECHER DER KONZERNFÜHRUNG DER WÜRTH-GRUPPE
„Ob Wearables, Autos, oder Gebäude: Immer mehr „Dinge“ werden smart. Die meisten von ihnen, wie etwa die Produkte auf diesen Seiten, können uns im Alltag unterstützen oder uns helfen, gesünder zu leben. Solche Innovationen schrecken vielleicht zunächst ab. Schließlich sammeln sie Daten, werden intelligenter und lernen uns immer besser kennen. Es liegt jedoch an uns Menschen, neuartige Technologien für die richtigen Zwecke und auf ethisch korrekte Weise einzusetzen. Innerhalb der gesamten Würth-Gruppe orientieren wir uns deshalb in jeder Situation an unseren Leitlinien: Wir verbinden visionäres Denken und Kreativität mit Verantwortungsbewusstsein und gegenseitigem Respekt. Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser Einstellung immer optimistisch in die Zukunft blicken können.“
DIE CYBORGS DER ZUKUNFT – EIN GESPRÄCH ÜBER WEARABLES
Lesen sie mehr zum Thema in unserem Interview.