Mithilfe moderner Lichttechnik ist es möglich, beim Vertical Farming auf sehr kleiner Fläche Gemüse anzubauen. Dies funktioniert unabhängig von der Jahreszeit und ganz ohne Tageslicht. Die speziellen LEDs dafür entwickelt Würth Elektronik. Und das biologische Wissen liefert das interdisziplinäre Team um Harun Özgür gleich mit.
Harun Özgür, Leiter der Abteilung Optoelektronik bei Würth Elektronik, schaut nach den Basilikumpflanzen. Er justiert die Beleuchtung in dem kleinen Gewächshaus. Hier sieht es aus wie in einer Disko: Die Kräuter sind rot, blau und violett angeleuchtet und strecken sich ins Kunstlicht. Die grellen Lichtfarben werden von sogenannten Horticulture Leuchtdioden (kurz LEDs) erzeugt. Diese geben Licht mit unterschiedlichen Wellenlängen ab, das Einfluss auf die Entwicklung der Pflanzen hat. So steuert es beispielsweise, wie schnell die Pflanzen wachsen, ob sie hochschießen oder in der Breite zulegen.
Die Experten von Würth Elektronik eiSos GmbH & Co. KG in Waldenburg forschen seit sechs Jahren an innovativen Lichtrezepten für Nutzpflanzen. Mehr Blüten, mehr Früchte, mehr Aroma und sogar mehr Vitamine sind dadurch möglich. Um das zu erreichen, mischen sie Wellenlängen und kombinieren LEDs miteinander. Sie forschen und experimentieren mit dem Licht – zum Beispiel im Wellenlängenbereich von 400 bis 700 Nanometern, in dem die Fotosynthese hauptsächlich stattfindet. Aus Licht plus Wasser und Kohlendioxid stellen Pflanzen Glucose und Sauerstoff her. Ein wichtiger Prozess – den man mit der richtigen Wellenlänge fördern kann.

In der Pflanzenforschungsabteilung von Würth Elektronik laufen Experimente mit unterschiedlichen Lichtwellen.
Für jede Phase die richtige Welle
Was macht die LEDs so besonders im Vergleich zu anderen Gewächshausleuchten? Horticulture-LEDs von Würth Elektronik decken ein weitaus breiteres Lichtspektrum ab. Jede für sich hat eine ganz spezifische Lichtwellenlänge, die Gärtner individuell kombinieren können. Dabei muss man jedoch systematisch vorgehen: Jede Pflanzenart reagiert unterschiedlich auf Kombinationen von Licht und Intensität. Das ist ein wichtiger Schlüssel: Denn auch die Phasen der Blüte, der Keimung oder der Wurzelbildung sprechen auf unterschiedliche Lichtwellen an.
Man kann damit sogar am Geschmack feilen, etwa mit blauem Licht.
Das blaue Licht macht Pflanzen kompakter und veranlasst sie gleichzeitig dazu, mehr sekundäre Pflanzenstoffe zu bilden. Sekundäre Pflanzenstoffe sind natürliche Substanzen in Obst und Gemüse, die für Farbe, Duft und Aroma verantwortlich sind. So wie die Sulfide in Zwiebeln oder die Carotinoide in Tomaten.
Lichttechnik und Biologie zusammengedacht
Würth Elektronik besitzt eine eigene Forschungsabteilung, in der die Steuerung des Pflanzenwachstums untersucht wird. Hier arbeiten auch Expertinnen und Experten aus der Biologie und den Agrarwissenschaften. Das ist etwas Besonderes und war nicht immer so. „Tatsächlich haben Tomatenbauern oder Himbeerzüchter für ihre Wünsche und Probleme bei der Beleuchtung früher kaum Ansprechpersonen gefunden“, berichtet Özgür. Würth Elektronik kooperiert auch mit dem Gewächshauslaborzentrum der TU München, wo gerade Versuche mit der Blütenbildung von Tomaten abgeschlossen wurden.

Unabhängig von der Jahreszeit und ganz ohne Tageslicht lässt sich platzsparend Gemüse anbauen.
Regionale Tomaten aus dem Bunker
Ein weiterer großer Vorteil von LEDs ist, dass sie nicht so heiß werden wie herkömmliche Gewächshauslampen. Deshalb können sie sehr nah an den Pflanzen sein. Das Gemüse wächst übereinander wie in einem Schrank, jede Etage mit eigener Beleuchtung. Somit ist beim Vertical Farming der Ertrag pro Fläche deutlich höher als in normalen Gewächshäusern. Außerdem sind unter den optimalen Bedingungen im Vergleich zum Gewächshaus mehr Ernten pro Jahr möglich. Unabhängig von der Jahreszeit und ganz ohne Tageslicht, dort wo eben Platz ist, kann lokal produziert werden.
„Tomaten können überall wachsen, auch in stillgelegten Bunkern“,
sagt Harun Özgür. In einigen Edeka- oder Rewe-Märkten sprießen hierzulande heute schon Kräuter und Salate in mehrstöckigen, lila beleuchteten Glasvitrinen. Auch der Sternekoch Tim Raue betreibt eine Vertical Farm in seinem Berliner Restaurant. Hier erntet man die besonders intensiv schmeckenden Kräuter erst kurz bevor die Teller die Küche verlassen.

LED-Licht beeinflusst Wachstum und Blüte, Ertrag und Aroma.

Beim Vertical Farming wachsen die Pflanzen übereinander, jede Etage mit eigener Beleuchtung.
Nachhaltig und zukunftsweisend
Vertical Farming bietet entscheidende Vorteile. So werden die Nahrungsmittel vor Ort produziert, wodurch kaum Emissionen für den Transport anfallen: 90 Prozent CO2-Einsparungen sind in diesem Bereich möglich. Weil von außen praktisch keine Schädlinge oder Krankheiten an die Nutzpflanzen kommen, müssen Gärtner zudem kaum Insektizide oder Pestizide einsetzen. Bei der Wassereffizienz ist das in sich geschlossene System ebenfalls unschlagbar – möglich sind 70 bis 95 Prozent Einsparungen. Und auch der Energieverbrauch spricht für LEDs: An der TU München haben die Leuchtdioden in Versuchen bis zu 40 Prozent weniger Energie als Natriumdampflampen verbraucht und gleichzeitig zu mehr Ertrag geführt. Ob Vertical Farming mithilfe moderner Horticulture-LEDs dabei helfen kann, in Zukunft die wachsende Weltbevölkerung nachhaltig mit Lebensmitteln versorgen? Das ist durchaus denkbar. Laut einer Prognose der Vereinten Nationen werden wir im Jahr 2050 rund zwei Milliarden mehr Menschen auf der Erde sein. Schätzungsweise zwei Drittel der Weltbevölkerung wird in Städten leben. Gleichzeitig gehen heute schon jeden Tag weltweit Millionen Hektar Agrarflächen verloren. Die Zahlen sprechen für sich.
Welches Licht bewirkt was?
Untersuchungen zeigen, dass Pflanzen sogar auf Wellenlängen reagieren, die man für ihre Entwicklung bislang nicht für sonderlich wichtig hielt. Die verschiedenen Wellenlängen setzen verschiedene Prozesse im pflanzlichen Organismus in Gang.
Rotes Licht
(630 bis 660 Nanometer) ist die wichtigste Wellenlänge für die Fotosynthese und wesentlich für das Längenwachstum verantwortlich. Es reguliert das Erblühen, die Ruhephase und die Keimung der Samen.
Blaues Licht
(400 bis 520 Nanometer) ist eine weitere Schlüsselwellenlänge für die Fotosynthese. Eine Überbelichtung kann das Wachstum auch hemmen. Blaues Licht beeinflusst die Konzentration von Chlorophyll, das Seitenknospenwachstum und die Blattdicke.
Dunkelrotes Licht
(720 bis 740 Nanometer) nimmt Einfluss auf die Keimung. Es kann die Blütezeit von Pflanzen verkürzen und das Längenwachstum fördern.
Grünes Licht
(500 bis 600 Nanometer) galt einst als unwichtig für die Pflanzenentwicklung. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass Pflanzen, die im Schatten anderer Pflanzen stehen, besonders auf grünes Licht ansprechen.
UV-Licht
(280 bis 400 Nanometer) ist eigentlich zellschädigend, doch einige Pflanzenarten wie z. B. Salat oder Tomaten scheinen dagegen viel widerstandsfähiger zu sein. UV-Licht könnte z. B. zur Pilzbekämpfung wichtig werden. Pflanzen können durch UV- Licht zur Bildung von sekundären Pflanzenstoffen angeregt werden.