
Prof. Dr. H. C. Mult. Reinhold Würth, Stiftungsaufsichtsratsvorsitzender der Würth-Gruppe.
Liebe Leserinnen und Leser, verehrte Kundinnen und Kunden, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
Wieder ist Kaleidoskop-Zeit. Diesen Aufsatz diktiere ich am Ende eines wunderbaren sonnigen Hochsommers 2018, der für die Landwirte wegen der Trockenheit und der Ernteausfälle große Sorgen brachte, von der Mehrheit der Bevölkerung aber in vollen Zügen genossen wurde. Sommer, Urlaub, Reisefreiheit von Balkonien bis Neuseeland, ein echter Traum.
Als 83-Jähriger habe ich noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Die Soldaten waren, wenn sie überhaupt am Leben blieben, oft viele Jahre von den Familien getrennt als Kriegsgefangene: Was haben wir heute für ein Glück, die friedlichsten 70 Jahre in der Geschichte Europas erleben zu dürfen. Große Dankbarkeit erfüllt uns, innerhalb der Europäischen Union in Frieden, in Freiheit leben zu dürfen und doch steigen dunkle Wolken am Horizont auf. Die rechtsextrem gefärbten Separatisten treiben auch in Deutschland ihr Unwesen. Zuletzt gewalttätig in Hamburg und Chemnitz.
Ich glaube schon, dass es wert ist, sich über dieses Thema vernünftig zu unterhalten in einer Zeit, in der es Hooligans und Rechtsradikalen innerhalb weniger Stunden gelingt, Hundertschaften, wenn nicht Tausendschaften von Bürgern zu oft unangemeldeten Demonstrationen auf die Straße zu rufen – gegen diese Schnelligkeit von Terror und Gewalt ist der Staat noch weit im Hintertreffen und meist ohnmächtig.
Verehrte Leserinnen und Leser, man wagt gar nicht, zu Ende zu denken, wohin dieser Trend führen könnte – nämlich zu einer einwandfrei demokratisch gewählten Halbdiktatur. Auch Adolf Hitler kam absolut demokratisch legitimiert in sein Amt und führte Deutschland in den Untergang.
Die Rechtsextremisten innerhalb der Europäischen Union tragen in erster Linie den Fetisch des Fremdenhasses vor sich her und finden damit bei vielen sonst unpolitischen Bürgern Sympathie: Was ist das bloß für eine Interpretation der Menschenrechte? Interessant ist, dass sich viele Bürger fremdenfeindlich aufführen, die noch nie einen Flüchtling selbst zu Gesicht bekommen haben. Wie würden wir uns fühlen, wenn wir als Urlauber oder Geschäftsreisende in Johannesburg, Shanghai oder Windhoek wie Freiwild von den Einheimischen gejagt würden wegen unserer blonden Haare??
Schon vor und nach der Zeit der Völkerwanderung (von 375 bis 568 n. Chr.) hat es auf allen Kontinenten, auch in Nord- und Südamerika weit vor der Entdeckung durch die Europäer, teils noch unerklärte Wanderbewegungen ganzer Stämme gegeben, immer weg von der Heimat in die Fremde. Noch 1790 hatten wir im heutigen Deutschland 1.600 unterschiedliche Staats-, Zoll-, Maß- und Rechtssysteme, praktisch nach der nächsten Brücke waren wir Ausländer. Rudimentäre Reste solcher Aversionen und kleinen Stadtfehden aus der Zeit der Religionskriege gibt es auch innerhalb Deutschlands bis heute.
„WENN ICH MIT DIESEN THESEN EIN WENIG ZUM NACHDENKEN UND ABWÄGEN BEITRAGEN KANN, BIN ICH SEHR FROH UND DANKBAR.“
Als im Zuge der Gebietsreform in Baden-Württemberg die badische Stadt Villingen mit der württembergischen Stadt Schwenningen zu Villingen-Schwenningen zusammengelegt wurde, soll es Autoaufkleber gegeben haben mit der Aufschrift „Stoppt Tierversuche, nehmt Schwenninger”. Klamauk und Fremdenhass, Antisemitismus und Muslimschelte liegen sehr eng beieinander, einfach aus einem dumpfen Untergrundgefühl in unseren Hirnen, es könnte uns etwas weggenommen werden, wir könnten etwas verlieren. All diese dunklen und dumpfen Emotionen aus der Frühzeit der Menschheit sind heute über das Grundgesetz und die unabhängige Justiz besonders in Deutschland derartig gut geschützt, dass wir unsere Flüchtlinge wahrlich willkommen heißen können, zumal wir sie als Arbeitskräfte enorm gut integrieren könnten.
Wichtig ist für die kommenden Monate, dass wir die Europäische Union massiv stärken und politisch ausbauen: Würden wir wiederum den extremen Rechtsgruppen Raum geben und die Europäische Union zerstören, was bliebe dann? Europa würde zwischen den Machtblöcken USA, Russland und China aufgeteilt in lnteressenssphären, wir würden zu abhängigen Vasallen, Präsident Putin hofiert die sogenannten Visegrád-Staaten, China baut vom Hafen Piräus aus seinen Einfluss nach Europa konsequent aus, auch über den Bau neuer Straßen und Autobahnen bis hin zur Neubelebung der Seidenstraße. Präsident Trump will Italien die noch höhere Verschuldung finanzieren, um im Extremfall dem Land den „ltalexit” möglich und schmackhaft zu machen.
Meine Frage: Ist es nicht Zeit, Vernunft zu üben und zu begreifen, dass wir Europäer gemeinsam die vierte Supermacht in der Welt sein können? Deswegen komme ich immer wieder zum gleichen Resultat: Wir brauchen dringend die Vereinigten Staaten von Europa mit einem Europahaushalt, einem europäischen Finanzminister und einem europäischen Außenministerium. Wozu ist es gut, dass Belgien, Litauen, Deutschland oder Finnland wie alle anderen EU-Staaten eigene Botschaften in Washington und x Hauptstädten in der Welt unterhalten? Man könnte Milliarden Eurosummen an diplomatischen Mitteln einsparen, wenn in Washington, Tokio und Peking eine Europäische Botschaft wäre, basta.
Verehrte Leserinnen und Leser, wenn ich mit diesen Thesen ein wenig zum Nachdenken und Abwägen beitragen kann, bin ich sehr froh und dankbar. Fast hätte ich unser Geschäft vergessen.
Ich möchte mich bei Ihnen allen, soweit Sie Kundin oder Kunde bei uns sind, sehr herzlich bedanken für jeden einzelnen Auftrag. Auch in Zukunft wollen wir, egal wie sich dieser Handelskrieg entwickelt, weltweit unseren Kunden in über 80 Ländern mit einer Superproduktqualität den bestmöglichen Service und die bestmögliche Dienstleistung im Bereich der Montage- und Befestigungstechnik anbieten können. Mit unseren bescheidenen Mitteln werden wir daran arbeiten, die wunderbaren Erfolge und Fortschritte, die die Welt in den letzten 50 Jahren mit dem Freihandel gemacht hat, fortzusetzen und auszubauen.
Ihnen wünsche ich für die jetzt kommenden Wochen mit den höchsten Umsätzen des Jahres viel Erfolg und hoffe sehr, dass Sie auch die entsprechenden Arbeitskräfte finden.
In Dankbarkeit und mit freundlichen Grüßen
Ihr Reinhold Würth