
Prof. Dr. H. C. Mult. Reinhold Würth, Stiftungsaufsichtsratsvorsitzender der Würth-Gruppe.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Leserin, lieber Leser,
Die Würth-Gruppe feierte in diesem Jahr ihr 75-jähriges Bestehen, ich selbst meinen 85. Geburtstag. Das Schönste daran ist: Wir beide tun dies bei guter Gesundheit. Darauf bin ich – und das sage ich mit größter Demut und Dankbarkeit – schon ein bisschen stolz. Als mein Vater 1954 ganz überraschend verstorben ist, wurde ich als 19-jähriger Bub quasi über Nacht ins kalte Wasser geworfen. Und ich bin losgeschwommen, eigentlich ohne groß zu überlegen: Soll ich, will ich, kann ich? Ich habe es einfach gemacht. Diese „Macher-Mentalität“ bestimmt das Wachstum des Konzerns bis heute. Wenn Sie loslaufen, während die anderen noch überlegen, ob sie überhaupt aufstehen sollen, gehört der Pokal Ihnen. Denken Sie nur: Damals war das Unternehmen ein Zweimannbetrieb mit umgerechnet 80.000 Euro Jahresumsatz. Heute sind wir Weltmarktführer im Bereich Montage- und Befestigungstechnik und beschäftigen über 78.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in über 400 Gesellschaften in 80 Ländern weltweit mit einem konsolidierten Außenumsatz von 14,3 Milliarden Euro 2019. Das ist in aller Bescheidenheit schon beachtlich, meine ich.
Doch Erfolg ist kein Selbstläufer. Er hängt stark von der Leidenschaft ab, die jemand mitbringt. Nur wenn diese Flamme in Ihnen brennt, können Sie auch andere für Ihre Sache begeistern. Deswegen proklamiere ich geradezu, dass uns Wissensriesen nicht weiterbringen, wenn sie Realisierungszwerge sind. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, wenn wir unser Unternehmen in Zukunft wettbewerbsfähig halten wollen. Gleichzeitig entscheiden auch visionäres Denken und ein weit geöffneter Horizont über Ihre Position auf dem Markt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen Ziele, die sinnvoll und richtungsweisend sind, die positive Veränderung und damit Verbesserung in der Zukunft versprechen, um diesen inneren Stolz zu entzünden, dass sie Teil eines erfolgreichen Projekts sind. Deshalb lautet bei uns die oberste Prämisse: je größer der Erfolg, desto größer die Freiheitsgrade. Das ist ein unheimlicher Motivationsfaktor für die Mitarbeiterschaft und gleichzeitig Triebfeder für ein modernes und innovatives Image des Unternehmens am Markt.
„UNSERE KUNDEN VERTRAUEN
DER QUALITÄT UNSERER PRODUKTE,
UNSERER VERLÄSSLICHKEIT
UND UNSEREN SERVICELEISTUNGEN.“
Das aufzubauen war schwer. Es zu halten noch viel schwerer. Unsere Kunden vertrauen der Qualität unserer Produkte, unserer Verlässlichkeit und unseren Serviceleistungen. Sie wissen, bei Würth bin ich gut aufgehoben. Diese Berechenbarkeit gibt unseren Kunden den Freiraum, sich auf ihr Geschäft und damit ihren Erfolg zu konzentrieren. Dieses Vertrauen aufrechtzuerhalten ist Tag für Tag harte Arbeit. Immer für die Kunden da zu sein und darin nicht nachzulassen ist unser Auftrag für die Zukunft. Gerade bauen wir am Standort Künzelsau-Gaisbach ein Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationszentrum, in dem wir die Fragestellungen unserer Kunden mit Wissenschaft und Forschung zusammenbringen, in Kooperation mit dem Karlsruher Institut für Technologie KIT und den Universitäten Innsbruck und Stuttgart. Hier entsteht auf rund 15.000 Quadratmetern ein Cluster aus Wissen und Know-how mit modernsten Laboren und Werkstätten, einer Klimakammer, neuesten 3D-Druckern und Seismik-Prüfständen für die Dübeltechnik – vielfältige Möglichkeiten, um unsere interne Forschung nachhaltig voranzutreiben und die Innovationszyklen unserer Produkte zu verkürzen. Rund 70 Millionen Euro investieren wir dafür. Ohne das Vertrauen unserer Kundinnen und Kunden wäre all dies nicht möglich – dafür möchte ich mich an dieser Stelle aufrichtig bedanken!
Gerade spüren wir unter der Corona-Pandemie sehr deutlich, dass der Wohlstand, in dem unsere Kinder aufwachsen und den wir in den vergangenen 50 Jahren alle genossen haben, keine Selbstverständlichkeit ist. Ich selbst habe das Ende des Zweiten Weltkriegs noch miterlebt. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn Sie den Kopf einziehen, weil Jagdbomber über Sie hinwegfliegen. Wenn diese existenzielle Angst einmal durch Ihren Körper geflossen ist, wissen Sie, dass es kein höheres Gut gibt, als in Frieden und Freiheit leben zu können. Deshalb ist es so extrem wichtig, dass wir uns gegen das Vergessen und für die Aufklärung aussprechen – auch und vor allem 75 Jahre nach Kriegsende. Meine liebe Frau und ich engagieren uns daher sehr für die Kriegsgräberfürsorge. Zum Volkstrauertag realisiert der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Würth einen Gedenkkranz aus Stahl, bestückt mit 1.000 blauen und roten Blüten – Vergissmeinnicht und Mohnblumen als Symbol für das Gedenken an die Kriegsopfer. Geschichte und Zukunft passieren nicht losgelöst voneinander. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu unsere Verpflichtung, als geeintes und starkes Europa die Fahne des Friedens und der Freiheit selbstbewusst und weithin sichtbar für die Großmächte China, Russland und die USA hochzuhalten.
Was mir Sorge macht, lässt sich im Moment ganz trefflich am Wahlkampf in den USA festmachen (ich schreibe diesen Aufsatz am 15.10.2020). Wenn das Zitat „Halt die Klappe, Mann!“ aus dem TV-Duell zur Schlagzeile wird, die weltweit quer durch alle großen Medien geht, dann stelle ich mir schon die Frage: Wo sind Respekt, sachlicher, fairer und kritischer Diskurs geblieben? Was ist das für eine Redekultur? Positionierung durch Beleidigung? Ist das der neue Stil? Lösen wir so die elementaren Fragestellungen unserer Zeit? Sicher nicht! Wir sollten von den höchsten Würdenträgern genauso wie von uns selbst verlangen, Vorbild zu sein für die nachkommenden Generationen in puncto Anstand und Rücksichtnahme, damit nicht Arroganz jede Wachstumskurve zur Verlustkurve macht und eine Ellenbogengesellschaft forciert, die ich in unserem Unternehmen auf das Strikteste ablehne. Unsere Unternehmensgeschichte ist geprägt von einer sehr intensiv gelebten Unternehmenskultur, die Berechenbarkeit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Respekt im Umgang miteinander hochhält. Aber nur niederschreiben hilft nichts, Sie müssen es leben. Lassen Sie uns gemeinsam auch in Zukunft unermüdlich und nachhaltig daran arbeiten.
Ihr Reinhold Würth