Im Jubiläumsjahr 2020 ist die Würth-Gruppe nach wie vor Weltmarktführer im Bereich Montage- und Befestigungsmaterial. Wie es dazu kam?
Das Doppel-Jubiläumsjahr von Würth – mit dem 75. Jubiläum des Unternehmens und dem 85. Geburtstag von Prof. Dr. h. c. mult. Reinhold Würth, dem Vorsitzenden des Stiftungsaufsichtsrats der Würth-Gruppe – ist ein guter Anlass, die sagenhafte Unternehmensgeschichte Revue passieren zu lassen: 125.000 Produkte umfasst heute das Portfolio, über 400 Gesellschaften im In- und Ausland gehören mittlerweile zum Konzern. Dreh- und Angelpunkt von Würth ist der Stammsitz in Künzelsau, Baden-Württemberg: Hier bei Würth im Hohenlohischen wird es seinem Ruf als Erfinderland mehr als gerecht. Man braucht als Unternehmen also nicht zwingend von einer Zentrale in Paris, New York oder Tokio oder von Berlin aus zu agieren, um erfolgreich zu sein – und über viele Jahrzehnte hinweg zu einem Weltkonzern zu expandieren.
Was man dazu benötigt, sind ganz andere Dinge, zum Beispiel „Kollegialität, Respekt, Vertrauen“, wie Reinhold Würth gerne betont. Und man braucht „Werte. Wandel. Neue Wege.“– so bringt der Titel des Geschäftsberichts aus diesem denkwürdigen Jahr das Credo von Würth auf den Punkt. Um und dank Reinhold Würth ist das Familienunternehmen stetig gewachsen. Und bis heute fühlt sich der „Herr der Schrauben“, wie ihn Bestseller-Autor Helge Timmerberg in seiner im April erschienenen Biografie nennt, für sein Unternehmen und seine Belegschaft verantwortlich.
IN SEINEM ERSTEN GESCHÄFTSJAHR GELINGT REINHOLD WÜRTH EINE ZWEISTELLIGE UMSATZSTEIGERUNG
Tatsächlich klingt die Entstehungsgeschichte von Würth fast märchenhaft. In ihrem Zentrum: Reinhold Würth, am 20. April 1935 in Öhringen in Hohenlohe geboren. Und so hat alles begonnen: Mit 14 Jahren tritt Reinhold Würth eine kaufmännische Lehre in der väterlichen Schraubengroßhandlung in Künzelsau an. Er lernt von der Pike auf, schaut seinem Vater über die Schulter, gewinnt Einblicke in die Praxis. Die gemeinsamen Fahrten zu den Kunden sind seine Verkaufsschulungen. Mit 19 übernimmt er 1954 nach dem Tod des Vaters Adolf Würth den kleinen Betrieb mit zwei Mitarbeitern. 1955, das erste Geschäftsjahr unter seiner Leitung, schließt er mit einer zweistelligen Umsatzsteigerung und einem Jahresumsatz von rund 170.000 DM ab. Ein guter Start. Die Meilensteine der Unternehmenshistorie reihen sich fortan aneinander, als wäre Erfolg das Selbstverständlichste der Welt.
1956 wird Carmen Linhardt die Ehefrau von Reinhold Würth. Zu ihrem 80. Geburtstag, im 61. Jahr ihrer Ehe, widmet ihr Reinhold Würth das von David Chipperfield Architects entworfene Carmen Würth Forum – eine Geste der Dankbarkeit und Liebe. Eröffnung des multifunktionalen Veranstaltungsgebäudes ist am 18. Juli 2017.
In den Jahren dazwischen ist Würth längst zum florierenden Weltkonzern aufgestiegen: 2019 hat die Würth-Gruppe mit mehr als 78.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Umsatz von 14,3 Milliarden Euro erwirtschaftet. Im Kerngeschäft, dem Vertrieb von Montage- und Befestigungsmaterial, setzt der Konzern auf den Wandel vom Händler zum Hersteller. Der Bereich Forschung und Entwicklung wird deutlich ausgebaut: Im eigenen Innovationszentrum in Künzelsau soll das Know-how aus Wissenschaft und Handwerk gebündelt werden.
Reinhold Würth, Träger zahlreicher Ehrendoktorwürden, Kulturförderer und Verfechter des europäischen Gedankens, ist auch bei dieser aktuellen Ausrichtung des Konzerns immer noch eine treibende Kraft – Stillstand bedeutet für ihn Rückschritt. Darüber hinaus gilt er als einer der größten Kunstsammler der Gegenwart. Die Sammlung Würth umfasst mittlerweile über 18.300 Werke. „Man spricht immer vom Unterschied zwischen Arm und Reich“, sagte Reinhold Würth kürzlich bei einer Kulturveranstaltung in Stuttgart. „In der Kunst hat man die Möglichkeit, diese Disharmonie vollständig aufzuheben. Bei freiem Eintritt sind im Museum alle Menschen gleich. Mir war es ein Anliegen, Oasen zu schaffen, an denen dies möglich ist.“
Ausgerechnet zu Beginn des Jubiläumsjahrs 2020 verändert ein Virus die Welt. Wie bei den meisten Unternehmen wird auch in der Zentrale in Künzelsau durch die Auswirkungen der Pandemie vieles auf den Kopf gestellt. Mit seiner Multi-Kanal-Strategie, die den Kunden unter anderem mit dem Onlineshop oder der Würth-App zahlreiche Möglichkeiten bietet, ihren Bedarf zu decken, ist Würth in der Corona-Krise jedoch gut aufgestellt. Vor allem im Juli, September und Oktober dieses Jahres laufen die Geschäfte beim Mutterunternehmen hervorragend, ein Rekordumsatz gelingt. Torsten Elias, Geschäftsführer Vertrieb Außendienst bei der Adolf Würth GmbH & Co. KG, zur Vorgehensweise: „Wir haben dynamisch auf die Gegebenheiten reagiert, täglich die Lage neu bewertet. Gleichzeitig haben wir wahre Agilität bewiesen und schnell Prozesse umgestellt, verändert und digitalisiert.“

2006: Im März übernimmt Bettina Würth den Beiratsvorsitz der Würth-Gruppe von ihrem Vater Reinhold Würth.
Der Vertrieb, zunächst durch Corona jäh in seinen Außendiensttätigkeiten ausgebremst, ergreift die Chance – das Telefon. Torsten Elias: „Bereits vor Ausbruch der Pandemie hat der Vertrieb begonnen, an Freitagen sogenannte Telefon-Battles durchzuführen. Mit einem Plus von rund 6.000 Aufträgen im Vergleich zu bisherigen Freitagen stand schnell fest, dass es hier ein immenses Potenzial gibt.“ Grundlage für diesen Erfolg während des Lockdowns sind die über viele Jahre, zuweilen auch Jahrzehnte gewachsenen und persönlich geprägten Kundenbeziehungen, die auf gegenseitigem Vertrauen basieren. Der Vertriebschef freut sich indes auch über den Spirit im Unternehmen: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben gemeinsam kreative Lösungen erarbeitet, wie wir die Belieferung unserer Kundinnen und Kunden sicherstellen können.“ Dies führt auch zu neuen Formen der Kundenkommunikation. „In einzelnen Vertriebsbereichen testen wir ‚digitale Kundenbesuche‘: Der Kunde kann in einer Art Video-Konferenz die Würth Welt live erleben, die für sein Geschäftsmodell relevant ist.“
IN DER CORONA-KRISE ERWEIST SICH DAS TELEFON ALS GEEIGNETES MITTEL, UM DIE KUNDENKONTAKTE ZU HALTEN
Doch ob digital oder im persönlichen Kontakt – wie für Reinhold Würth ist für Torsten Elias eines sicher: „Die Geschäftsbeziehung zwischen unseren Kundinnen und Kunden und unseren Außendienstmitarbeitenden ist das höchste Gut.“ Das war in den Anfängen von Würth so und das wird auch so bleiben. Vielleicht ist dies das ganze Geheimnis.

ROBERT FRIEDMANN
SPRECHER DER KONZERNFÜHRUNG DER WÜRTH-GRUPPE
„In diesem besonderen Jubiläumsjahr ist es faszinierend zu sehen, wie sich das Unternehmen Würth in 75 Jahren entwickelt hat. Neben all den wirtschaftlichen Erfolgen hat Professor Würth schon früh die Sozialverpflichtung des Eigentums ernst genommen. Bereits 1987 gründete er mit seiner Frau Carmen die gemeinnützige Stiftung Würth, die zahlreiche Projekte in Kunst und Kultur, Forschung und Wissenschaft, Bildung und Erziehung sowie die Integration von Flüchtlingen und Migranten fördert. Das Engagement von Würth ist in der Heimatregion mit ganz unterschiedlichen Initiativen sichtbar. Bei allem Erfolg ist Professor Würth jedoch immer ein Mensch geblieben, dem Werte wie Bescheidenheit, Dankbarkeit und Bodenständigkeit wichtig sind. Ganz gleich, wie Umsatzkurven und Ergebnisstatistiken steigen: Er erinnert uns immer wieder an unsere Pflicht, unsere Kundinnen und Kunden professionell und freundlich zu bedienen, um diese nicht nur zufriedenzustellen, sondern für Würth zu begeistern. Professor Würth hat uns in all seinen Berufsjahren stets vorgelebt, dass die Kundinnen und Kunden und die Menschen bei Würth das höchste Gut sind. Diese Haltung hat uns geprägt – und wir sind stolz darauf, Teil dieses Unternehmens zu sein.“
Interview mit BETTINA WÜRTH
Lesen Sie mehr zum Thema in unserem Interview.