Geschickte Brückenbauer überqueren nicht nur anspruchsvolle Reise-Passagen, sie lösen dabei häufig auch scheinbar unüberbrückbare Probleme, die den Menschen viel Kummer machen. Man denke hier nur an die vielen talentierten Zahnärzte, deren Wirken Gegenden miteinander verbindet, die aussichtslos voneinander getrennt waren, obwohl sie nur wenige Zentimeter voneinander entfernt lagen. Man sieht daran: Brücken müssen nicht riesig sein, um Gutes zu bewirken.
Aber davon abgesehen sind es doch meist die großen Brücken, die uns begeistern, weil wir beim Überschreiten einen symbolischen Akt vollziehen, an der Verbindung verschiedener Kulturen teilnehmen. Wer schon einmal über die mächtige Galata-Brücke in Istanbul spaziert ist, der kennt dieses Gefühl. Man befindet sich quasi in einem eigenen Stadtteil, der wiederum sehr unterschiedliche Bezirke der riesenhaften Stadt verschweißt. Gerade in Istanbul wird deutlich, dass der Brückenschlag von einem Ort zum nächsten viel mehr darstellt als lediglich eine technische Aufgabe, weil man eben vor allem Menschen miteinander verbindet.
Dazu braucht es neben Sachverstand auch Feingefühl. Leider fehlt mir dies offenbar, denn ich werde in meiner Eigenschaft als Haushaltsvorstand keineswegs als Pontifex Maximus angesehen, sondern als angerosteter Zementmischer ohne autoritäre Wirkmacht. Wann immer es darum geht, Brücken zwischen meinen Kindern zu bauen oder wenigstens Brücken von deren Zimmern in die Küche, scheitere ich kläglich. Dabei gebe ich mir als Vermittler viel Mühe und lasse beide Seiten geduldig vortragen.
Neulich ging es darum, dass die Batterien aus dem Bluetooth-Lautsprecher meiner Tochter verschwunden waren. Unser Sohn hatte sie entnommen, um damit seine Drohne zu füttern. Er begründete sein Vorgehen damit, dass seine Drohne wichtiger sei als ihr Lautsprecher. Dies liegt im Auge des Betrachters. Jedenfalls befahl ich ihm, die Batterien wieder zurückzugeben. Er könne sie ausleihen, wenn unsere Tochter keine Musik hören wolle. Also nachts um vier oder so.
Ich fand das sehr gerecht und freute mich über die fabelhafte Brückentechnologie meiner pädagogischen Maßnahme. Dann trank ich Kaffee, las die Zeitung und beschloss zu arbeiten. Meine Maus ging aber nicht. Ich freute mich, dass ich die Arbeit verschieben konnte, und setzte mich ins Wohnzimmer um fernzusehen. Die Fernbedienung ging nicht. Unser Radiowecker ging auch nicht. Und die Uhr in der Küche, die Waage, der Garagenöffner und mein Diktiergerät gingen ebenfalls nicht. Nicht einmal der Fusselrasierer, mit dem ich die kleinen Knubbel von den Pullovern entferne, ging. Eigentlich ging gar nichts, außer der Lautsprecher meiner Tochter und die Drohne meines Sohnes. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Zur Überbrückung dieses Konfliktes benötigen wir einen genialen Brückenbauer. Wir brauchen den Architekten der Galata-Brücke. Oder einen guten Zahnarzt.
JAN WEILER
1967 in Düsseldorf geboren, war viele Jahre Chefredakteur des „Süddeutsche Zeitung Magazins“. Seit 2005 ist er freier Schriftsteller. Er verfasst vor allem Romane, Kolumnen, Hörspiele und Drehbücher und tritt auch als Sprecher auf seinen CDs sowie als Vorleser auf Tourneen durch ganz Deutschland in Erscheinung. Sein neuer Roman „Kühn hat Hunger“ ist Anfang Oktober 2019 bei Piper erschienen.