Wie kann die Gesellschaft nachhaltiger werden? Und was kann jede und jeder dafür tun? Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Christian Berg, Experte für Nachhaltigkeit.
Während der Lebenszeit meiner Großmutter hat sich die Weltbevölkerung vervierfacht, ihr Rohstoffverbrauch verachtfacht und ihr Energieverbrauch verzehnfacht. Eine solche Zunahme während der Lebenszeit eines Menschen hat es noch nie gegeben. Wir stehen als Menschheit an einem Wendepunkt. Das Klima weiter aufzuheizen und Rohstoffe für kurzlebige Produkte zu nutzen, die danach die Umwelt belasten – das funktioniert nicht mehr lange.
Die erforderliche Veränderung wird nicht damit getan sein, neue Produkte zu entwickeln und ansonsten alles so zu belassen. Wenn wir beim Auto den Verbrenner durch einen Elektromotor ersetzen, ändert das noch nichts an der durchschnittlichen Auslastung (von ca. 30 Prozent, d. h. 1,5 Personen), am Verhältnis von Leergewicht zu Nutzlast (ca. 12 : 1) oder an der Tatsache, dass Pkw 95 Prozent der Zeit auf dem Parkplatz stehen.
Wir werden unsere Gesellschaft ganz neu denken und gestalten müssen: wie wir wohnen und arbeiten, produzieren und konsumieren, unser Land bewirtschaften und Verkehr und Mobilität organisieren. Wir brauchen einen systemischen Wandel. Das ist eine Herkulesaufgabe. Die Politik muss, allen voran, dafür den Rahmen richtig und klug setzen. Die Unternehmen müssen Produkte, Dienstleistungen und Systeme entwickeln, die uns nachhaltiger machen. Und die Banken müssen all das finanzieren. Und wir selbst? Was können wir tun? Sehr viel!
Denn zum einen werden Politik, Wirtschaft und Finanzwelt nur aktiv werden, wenn wir alle darauf hinwirken. Der große Wandel passiert nicht ohne die vielen kleinen Schritte dorthin. Zudem ist das, was jede und jeder von uns tun kann, viel mehr als wir oft meinen.
Der erste Schritt ist Bewusstseinsbildung: sich informieren und Zusammenhänge erkennen. Was hat Massentierhaltung mit dem Klimawandel und mit Todeszonen in den Meeren zu tun? Warum verschärft Einkommensungleichheit gesellschaftliche Probleme? Man braucht dafür nicht dicke Bücher zu wälzen – es gibt viele ausgezeichnete Dokumentationen in den Mediatheken oder im Internet. Als Nächstes sollte man schauen, wo es sich am meisten lohnt anzusetzen. Hier gibt es viele gute Tools, die einem beim Berechnen des persönlichen „Fußabdrucks“ unterstützen und konkrete Tipps für Veränderungen geben (etwa der CO2-Rechner des Umweltbundesamts). Und dann sollte man bei den kleinen Dingen anfangen und sie nach und nach einüben – beim privaten Konsum, im Unternehmen, im Sportverein, in der Kirche oder auch beim Geld. Wo legt meine Versicherung eigentlich das Geld für meine Rente an? Investiert der Fonds, für den ich einen Sparplan habe, vielleicht in die Dinge, die ich gerade zu vermeiden versuche?
Wichtig ist, dass wir die anstehenden Herausforderungen als unsere eigenen begreifen. Es geht um unsere Zukunft und um die Frage, ob unsere Kinder und Enkel noch ein gutes Leben führen können. In der Pandemie haben wir den jungen Menschen sehr viel abverlangt, ihre Solidarität eingefordert. Einen Impfstoff gegen die Klimakrise gibt es nicht – was wir tun können, ist rechtzeitig zu handeln. Wollen wir nicht der Jugend etwas zurückgeben? Es kostet uns nicht viel.
Prof. Dr. Christian Berg
Prof. Dr. Christian Berg lehrt an der TU Clausthal, an der Universität des Saarlandes und ist Keynote Speaker für Nachhaltigkeit. Er war mehrere Jahre in großen Unternehmen und als Politikberater tätig. Sein jüngstes Buch „Ist Nachhaltigkeit utopisch?“, ein Bericht an den Club of Rome, wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung für das Politische Buch 2021 nominiert. Mehr Informationen zu ihm findet man unter: www.christianberg.net