Es wirkt anmutig, wenn Skispringerinnen die Schanze herunterrauschen, sich am Schanzentisch abstoßen, die Lüfte erobern und scheinbar mühelos wieder auf dem Boden aufsetzen. Was einfach und elegant aussieht, ist in Wahrheit aber ein hochkomplexer Prozess. Für Laien gleicht ein Sprung dem anderen, doch Profis wissen: Feinste Unterschiede in der Sprungtechnik bestimmen über die entscheidenden Zentimeter. Da hilft nur eins: hartes Training.
„DIRTY DANCING“ IN DER UMKLEIDE
Wir treffen die Springerinnen des Deutschen Skiverbandes (DSV) zum Beginn ihres Trainingstages in Oberstdorf, es ist kurz vor neun. Das Wetter stellt sich an diesem Tag im Januar quer, die Bedingungen sind mies: Der starke Wind in Kombination mit dem dichten Schneefall kann die Springerinnen schnell vom Kurs abbringen und behindert ihre Sicht. Das Unfallrisiko ist zu hoch: „Wir müssen sehen, ob das heute noch was wird. Jetzt können wir erstmal nicht auf die Schanze“, sagt Bundestrainer Andreas Bauer zu den Athletinnen. Diese lassen sich nicht entmutigen und nutzen die Zeit für Vorbereitungen: Sie ziehen die Schrauben ihrer Boots fest, machen Dehnübungen und lassen ihre Skier wachsen.
Dann geht’s nach draußen – jedoch immer noch nicht auf die Schanze, sondern auf den Platz vor den Umkleidekabinen. Stattdessen stehen Trockenübungen auf dem Programm. Bei den Skispringerinnen erinnern die Übungen an den Filmklassiker „Dirty Dancing“: Aus der Hocke springen sie in die ausgestreckten Arme von Stützpunktrainer Peter Leiner und halten sich in einer eleganten Flugpose in der Luft. Körperspannung ist hier die eine Herausforderung, die andere heißt: ausharren. Denn das Wetter lässt noch immer keine richtigen Sprünge zu.
NICHT „ZU NAHE AN DIE KANTE“
Endlich! Am frühen Nachmittag haben Wind und Schneefall nachgelassen. Jetzt kann das Sprungtraining beginnen. Bei nur drei Anläufen pro Athletin zählt jedes Detail: Um Verbesserungen zu erzielen, werden die Versuche aus verschiedenen Perspektiven auf Video aufgezeichnet. Egal ob bei Anfahrt, Absprung, Flugphase oder Landung: Die Videoanalyse soll helfen, Ursachen für veränderte Leistungen zu ergründen, Fehler zu beheben und Bewegungsabläufe zu optimieren.
WEG VOM NISCHENSPORT
Mit Svenja Würth, Carina Vogt und Katharina Althaus hat der DSV die Weltspitze im eigenen Team. „An deren Technik können wir uns orientieren“, so Andreas Bauer. Mit Vogts Sieg bei Olympia 2014 in Sotschi, der Silbermedaille von Althaus in diesem Jahr in Pyeongchang und den tollen Leistungen des Teams im Weltcup ziehen die Skispringerinnen immer mehr Aufmerksamkeit auf sich.
Bundestrainer Andreas Bauer lässt sein Team nicht aus den Augen und gibt den Sportlerinnen nach ihrem Sprung per Funk Tipps. Ulrike Gräßler beispielsweise ist zu nahe an die Kante gefahren, das heißt, sie ist zu spät abgesprungen: „Im Lift auf dem Weg zum nächsten Sprung gehe ich die Bewegungsabläufe im Kopf nochmal durch. Dabei denke ich an die Aufgaben, die mir der Coach gegeben hat. Nächstes Mal will ich das zum richtigen Zeitpunkt schaffen“, sagt die 30-Jährige.
Anfang 2018 bei Olympia in Pyeongchang lief es für den DSV besonders gut: Katharina Althaus schaffte die Sensation und sprang nervenstark auf Platz zwei. Ihre Teamkollegin Carina Vogt wurde Fünfte, Ramona Straub Achte und Juliane Seyfarth landete auf Platz zehn. Ein Ergebnis, das Bundestrainer Andreas Bauer „megastolz“ macht. Vier DSV-Damen unter den besten Zehn seien ein Beleg für die Klasse seiner Truppe.
„DER SKISPORTLER WIRD IM SOMMER GEMACHT“
Am Beispiel von Gianina Ernst wird deutlich: Die Vorbereitung auf die Saison besteht aus zwei Phasen – dem Sprungtraining an der Schanze und einem individuell angepassten Krafttraining. Im Winter gehen die DSV-Damen – je nach Wetterlage – zwei Mal pro Woche auf die Schanze. Doch die Grundlagen müssen vorher geschaffen werden. Bundestrainer Andreas Bauer ist überzeugt: „Der Skisportler wird im Sommer gemacht.“ Dann stehen Trainingslager, Krafttraining, Technikeinheiten, regeneratives Joggen und vieles mehr auf dem Plan. Andreas Bauer: „Ab Anfang Dezember reisen wir von einem Wettkampfort zum anderen, da lässt sich nicht mehr viel richten. Dann läuft es – oder eben nicht.“
„LEISTUNG FORDERN UND FÖRDERN
Mit der Einstellung der DSV-Athletinnen, deren kontinuierlichem Streben nach Perfektion, kann sich ein Unternehmen wie Würth identifizieren – deshalb sponsert es den DSV seit rund 16 Jahren. Dieter Münch, Leiter Marketing/Werbung bei Würth: „Leistung fordern und fördern gilt nicht nur im Spitzensport, sondern ist auch fester Bestandteil der Unternehmenskultur von Würth.“
Nach einem langen, anstrengenden Tag an der Schanze haben die DSV-Damen Feierabend – fast. Mit ihrem Coach gehen sie nochmal die Sprünge durch. Darüber hinaus sprechen sie über eine weitere wichtige Komponente, die zum sportlichen Gesamtpaket dazugehört: das Material. „Das ist eine Wissenschaft für sich“, erzählt DSV-Athletin Ramona Straub. Denn dabei gehe es nicht nur darum, den schnellsten Ski zu haben: „Man muss die richtige Balance für den eigenen Sprungstil erwischen. Das ist eine langwierige Tüftelei.“
Als sich die DSV-Damen schließlich auf den Heimweg machen, ist es spät geworden. Wie wir gesehen haben, braucht man als Skispringerin mehr als „nur“ Kraft und eine ausgezeichnete Technik – sondern auch eine ordentliche Portion Geduld und Disziplin.