Wer zu viel an sich selbst denkt, bekommt es mit der Angst zu tun“, hatte der Dalai Lama mal zu mir in Rishikesh gesagt und ich hielt mich für das beste Beispiel dafür, obschon ich nie völlig verantwortungslos war. Für meine Texte übernahm ich sie immer, aber nur für sie, und ich wähnte mich damit in dem Club der toten wie lebenden Dichter auch nicht allein. Die Liste der Schriftsteller, die gute Väter für ihre Sätze, aber nicht für ihre Kinder sind, ist recht lang. Dasselbe stimmt natürlich auch für Musiker, Maler und die sterbenden Schwäne des Balletts. Die Kunst scheint ein recht eifersüchtiger Gott zu sein. Ist das böse? Ist das falsch? Wenn ein Mann wie Dostojewski der Literatur sechs große Romane schenkte, aber seiner Frau nichts. Er nahm ihr sogar den letzten Pelzmantel weg, um mit ihm seine Spielschulden zu bezahlen. Auch Wissenschaftler können einseitig verantwortungsbewusst sein. Einstein tat alles für die Relativitätstheorie, aber herzlich wenig für seinen schizophrenen Sohn Eduard, den er fast 20 Jahre in einer Nervenheilanstalt allein ließ. Und damit bin ich nun endlich bei einem, bei dem das alles etwas ganzheitlicher verlief.
Reinhold Würth hat Verantwortung quasi von der Pike auf gelernt. Mit 19 hat er sie für seine Familie, seine Leute, sein Unternehmen übernommen. Was daraus geworden ist, wissen wir alle. Ist Reinhold Würth deshalb glücklicher, als es Albert Einstein war? Das wäre die eine Frage. Die andere: Geht es dabei um Glück? Ich bewundere Menschen, die jetzt „nein“ sagen. Weil sie offensichtlich sich selbst davon erlöst haben, dem Glück hinterherzujagen. Es geht nicht ums Glück, es geht darum, das Beste aus dem Leben zu machen, und das am besten für alle.
„Die Interessen des Unternehmens sind untrennbar mit den Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbunden“, sagte der Konzernherr einmal. Und das stimmt natürlich auch umgekehrt. Eine Firma, die pleitegeht, kann herzlich wenig für ihre Angestellten tun. Und Angestellte, die herzlich wenig für die Firma tun, sorgen dafür, dass sie pleitegeht. Erfolgsdruck ist in diesem Fall keine Schikane, sondern eine Überlebenstechnik für das Große und Ganze. Und weil Reinhold Würth das immer verinnerlicht hatte, erfreuen sich mittlerweile weltweit über 78.500 Mitarbeitende eines sicheren Arbeitsplatzes. Die meisten von ihnen haben Familien, das heißt 150.000 bis 200.000 Menschen, also die Einwohnerzahl einer mittelgroßen Stadt, lebt von dem Erfolg des Konzerns. Ein schönes Beispiel, was Verantwortungsbewusstsein schaffen kann.
Selbstverständlich gibt es auch weniger rationale Motivationen, das Richtige zu tun. Liebe ist eine davon. Wenn sie da ist, muss man sich keinerlei Gedanken darüber machen, ob und wie man sich selbst, der Familie, der Firma, der Kunst und der Welt helfen will. Das kommt dann von selbst. Dasselbe gilt für die kleine Schwester der Liebe, die Empathie. Womit ich wieder beim Dalai Lama wäre, denn er redet sehr viel über Mitgefühl. Ohne Empathie ist Verantwortungsbewusstsein oft nur Teil einer humanistischen Ideologie. Eigentlich ist das eine sehr gute Nachricht, weil sie das Thema so einfach macht. Man braucht nur sein Herz anzuschalten, und schon kümmert es sich.
HELGE TIMMERBERG
Unser Gastautor Helge Timmerberg, 1952 in Hessen geboren, ist Abenteurer, Journalist und Reiseschriftsteller. Zum Würth Jubiläumsjahr hat der Spiegel-Bestseller-Autor die Biografie „Der Herr der Schrauben“ über Prof. Dr. h. c. mult. Reinhold Würth verfasst, die im April 2020 erschienen ist.