Es gibt Tage, die zeichnen sich durch eine solche Beklopptheit aus, dass mir schwindelig wird. Schwindel ist ein erstes Anzeichen für Überforderung, nicht wahr? Vielleicht lag es auch daran, dass ich am Morgen zwei Matcha-Latte getrunken hatte. Die Empfehlung von Gesundheitsgurus lautet, man solle diesen kerngesunden grünen Tee zwar regelmäßig zu sich nehmen, aber von zwei Schalen auf nüchternen Magen ist nirgendwo die Rede. Na ja, meine Flatterigkeit könnte auch damit zusammenhängen, dass ich nach diesem Koffeinschub noch ein Kännchen Kaffee schlürfte. Milde ausgedrückt drehte ich danach durch.
DIE SACHE MIT DEM GLEICHGEWICHT WAR NOCH NIE MEINS, OBWOHL VOR EXTREMEN DOCH IMMER GEWARNT WIRD.
Also fuhr ich gestern angepeitscht von einer gefährlichen Dosis Adrenalin, einer Deadline im Nacken, mit meinem Sohn und quietschenden Reifen zum Hamburger Zollamt. Ich könnte ein ganzes Buch über dieses Amt schreiben, so oft verbringe ich meine Zeit dort. Online-Bestellungen aus den USA, die man nachts aus Langeweile oder Schlaflosigkeit durchführt, sollten von der Gesundheitsbehörde verboten werden.
Leider habe ich diese Leidenschaft für modischen Firlefanz, der überteuert in irgendwelchen geheimen Second-Hand-Stores angeboten wird, meinem einzigen Sohn vererbt. Wir standen also an diesem verregneten Nachmittag eine gefühlte Woche vor dem Beamten und mussten am Ende 19 Prozent Mehrwertsteuer und 12 Prozent Zollsteuer auf eine verkrumpelte Weste zahlen, die aussah, als habe sie jemand aus der Mülltonne gefischt. Während ich lauthals keifte, was das alles soll, flüsterte ich wieder mal leise zu mir selbst: So geht das nicht weiter, du musst dein Gleichgewicht finden! Ich meine nicht jenes, das man für manche Yogaposen braucht, sondern die Balance zwischen Arbeit und Freizeit.
DER BEGRIFF WORK-LIFE-BALANCE SOLL JA EINEN ZUSTAND BESCHREIBEN, IN DEM ARBEITS- UND PRIVATLEBEN MITEINANDER IN EINKLANG STEHEN.
Bin ich die Einzige, der das sensationell misslingt? Und sind denn Job und Leben zwei unterschiedliche Dinge? über all das sinnierte ich, während uns der emsige Beamte mit einem triumphalen Gesichtsausdruck 86 Euro abknöpfte. Vielleicht muss man gar nichts ausgleichen, nichts ausbalancieren, nichts optimieren und auch nicht auf den großen Moment warten, wenn die Arbeit endlich geschafft ist. Vielleicht muss man sich daran erinnern, dass das ganze Leben eine Aneinanderreihung von Augenblicken ist. Einer nach dem nächsten. Manche sind wunderschön und manche zum Verzweifeln. Und auch, dass das verdammt in Ordnung ist: C’est la vie, chérie.
SUSANNE KALOFF
Autorin Susanne Kaloff schreibt seit beinahe zwanzig Jahren für viele Magazine und Zeitungen) Grazia, Welt am Sonntag, Emotion, Myself …) über alles, was sie auf Trab hält. Zusammen mit ihrem Sohn lebt sie in Hamburg, nach eigenen Angaben der schönsten Stadt der Welt
ANDERE LÄNDER, ANDERE PAUSEN
So verbringt die Welt von Würth ihre Mittagspausen. Ein Blick über den Tellerrand