Wenn die Menschheit den Planeten retten will, muss sie in vielen Bereichen umdenken. Der Chemiker und Verfahrenstechniker Prof. Dr. Michael Braungart hat Cradle-to-Cradle® mitentwickelt, ein Konzept, das eine Kreislaufwirtschaft etabliert. Im Interview spricht er über Sinnvolles und Unsinniges beim Thema Nachhaltigkeit.
Sie sagen, Klimaneutralität sei der falsche Weg, um den Planeten zu retten. Wieso?
Weil Klimaneutralität nicht möglich ist. Sie sind nur dann klimaneutral, wenn Sie nicht existieren. Deshalb versuchen wir, gut für das Klima zu sein. Doch wer mit der Bahn fährt, schützt nicht das Klima, er zerstört es nur weniger schnell als ein Autofahrer. Angesichts von knapp acht Milliarden Menschen auf der Welt genügt das nicht. Stattdessen müssen wir lernen, für den Planeten nützlich zu sein. Ein Baum ist gut für das Klima, er holt das Kohlendioxid aus der Atmosphäre zurück und produziert Sauerstoff. Er ist also nicht klimaneutral, dafür aber nützlich. Die Menschheit muss klimapositiv werden. Zum Beispiel, indem sie nur noch Kunststoffe verwendet, die aus dem CO2 der Atmosphäre hergestellt wurden, und so die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre auf den Stand von 1900 verringert.
Welche Rolle spielen dabei Unternehmen?
Statt Produkte herzustellen, sollten Unternehmen Dienstleistungen verkaufen. Ein Ventilatoren-Hersteller etwa verkauft heute Geräte, die nach wenigen Jahren kaputtgehen. Würde er stattdessen gesunde Luft, das heißt die Nutzung seiner Geräte verkaufen, hätte er ein Interesse daran, besonders haltbare Geräte herzustellen. Am Ende der Nutzungsdauer nimmt er das Produkt zurück, bereitet es auf und bietet es seinen Kunden erneut an. Solche Kreisläufe sind die Grundlage von Cradle-to-Cradle®. Weltweit beteiligen sich bereits viele Unternehmen an solchen Geschäftsmodellen, unter anderem Würth.
Wie verankert man nachhaltiges Denken in Unternehmen?
Die Personalabteilungen sind dabei entscheidend. Denn wenn sie Menschen als Chance für den Planeten begreifen, dann benehmen sich diese auch so. Unternehmen dürfen sich darüber hinaus nicht auf dem Erreichten ausruhen. Echter Wandel bedeutet mehr als Elektroauto zu fahren oder eine Verpackung zu entwickeln, die ein Gramm weniger Plastik enthält. Für junge Leute sind Nachhaltigkeit und Work-Life-Balance inzwischen wichtige Themen. Traditionelle Werte wie Verlässlichkeit und Vertrauen bleiben aber ebenso relevant, denn nur auf ihrer Grundlage ist Innovation möglich.
Wie kann Deutschland international mehr zur Nachhaltigkeit beitragen?
Wir Deutschen erzeugen 2,3 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Wenn wir diese senken, ist das schön und gut, aber es wird den Planeten nicht retten. Effektiver ist es, wenn wir die Welt durch Innovationen inspirieren. Unsere Unternehmen können Ländern wie China oder Indien die Blaupause für eine Kreislaufwirtschaft liefern, indem sie zeigen, wie man sie erfolgreich umsetzt.
Bedeutet das auch eine Reduzierung von globalen Lieferketten?
Wenn Cradle-to-Cradle®-Prinzipien angewandt und faire Löhne gezahlt werden, spricht grundsätzlich nichts gegen eine transnationale Arbeitsteilung. Für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft müssen sich die Lieferketten jedoch drastisch verkürzen. Das geschieht allerdings von selbst, wenn Unternehmen Dienstleistungen statt linearer Produkte verkaufen, weil sie dann ein Interesse daran haben, ihre Produkte auf kurzem Weg wieder einzusammeln. Das reduziert dann auch den Logistikaufwand.