Mir grummelt es im Magen. Ich höre leichtes Gluckergurgeln, spüre ein unbestimmtes Ziepen. Bei flüchtiger Beobachtung könnte man denken, ich hätte einfach Hunger. In Wahrheit ist es Lampenfieber, denn ich muss gleich Essen einkaufen.
Manchmal träume ich, dass mich Avocados jagen. Wie pockige schwarzgrüne Handgranaten bollern sie zu Dutzenden hinter mir her, während ich davonhetze, eine verbotene Tüte Pommes in der Hand. Mitunter werde ich im Schlaf auch von Auberginen-Keulen attackiert oder mit spitz zugeschnitzten Rhabarberstangen beschossen. Vielleicht, denke ich mir morgens, wenn ich wieder einmal schwitzig aus einem Essensalptraum erwache, hatte ich mich in den letzten Wochen wirklich ein bisschen zu ausführlich mit dem Thema Ernährung befasst.
Kein Wunder: Noch nie haben Menschen sich – und andere – so sehr darüber definiert, was sie essen, welche Dinge sie in ihre Bäuche lassen, wie heute. Noch nie war Ernährung ein so großes Statussymbol und gleichzeitig so schrecklich kompliziert: Gesund, regional, saisonal, glutenfrei, vegan, basisch, im Vollmondschein gepflückt, auch ethisch tippitoppi – das muss man erst einmal alles hinkriegen, so in der Kombi. Ich versuchte nun jedenfalls bei jedem Einkauf im Supermarkt um die Ecke, nur solche Lebensmittel in meinen Korb zu legen, die ein strahlendes Konsumlicht auf mich werfen würden. Die anderen Kunden, die im Vorbeigehen einen Blick in meinen Wagen warfen, sollten mich bewundernd anstaunen: Mandelmilch? Quinoa? Flohsamenschalen? Hui, diese Frau ist eine Ernährungsgöttin!
Früher war ich selbst mal eine gefürchtete Einkaufswagengafferin. Lief ich im Supermarkt zufällig einem Bekannten über den Weg, starrte ich sofort unverhohlen in den fremden Korb und startete meinen Analysescan: Auffällig große Mengen Schoko und eine Flasche Verzweiflungsfusel? Ach je, der Arme war wohl gerade verlassen worden. Entdeckte ich dagegen Vanilleeis, Orangensaft und Wodka, die Zutaten für die mir aus Studentenzeiten wohlbekannte „Schleimbowle“, kombinierte ich fix: Hier plante jemand eine Party, und ich war nicht eingeladen, Skandal! Ich hätte eine wirklich gute Detektivin abgegeben, eine, die ihre Fälle allein anhand der Verzehrgewohnheiten der Verdächtigen lösen würde.
Jeden Abend, wenn ich mir aus meinen Vorzeige-Einkäufen ein topgesundes, aber – unter uns – auch etwas freudloses Essen koche, träume ich davon, zu einem entlegenen Laden zu fahren, wo mich keiner kennt. Und meinen Einkaufswagen mit extrafeister Mascarpone und karamellüberzogenem Popcorn zu füllen. Vielleicht würde ich sogar eines dieser ultrafiesen, eingeschweißten Koteletts in Aspik kaufen. Weil ich Vegetarierin bin, müsste ich es zuhause zur Entsorgung dann wohl irgendeinem Zufallsnachbarn in den Briefkasten stecken. Auf mich würde kein Verdacht fallen, denn ich ernähre mich ausschließlich von Leinsamen und Selleriestangen, da können Sie jeden in meinem Supermarkt fragen.
ANJA RÜTZEL
Jahrgang 1973, ist Journalistin, bekennender Trash-TV-Fan und große Tierliebhaberin. Sie arbeitet als freie Autorin unter anderem für SPON, SPEX und das SZ-Magazin. Am liebsten jedoch geht sie raus in die Welt und schaut sich sonderbare Tiere an. Mit ihrem Hund Juri lebt sie in Berlin.